http://eipcp.net/n/aw
Antwort auf den Offenen Brief von Edi Freudmann
Vorweg – Antisemitismus zu bekämpfen ist immer wieder eine dringend notwendige Herausforderung. Das Anliegen, Theorie kritisch auf ihre politischen, sozialen und historischen Hintergründe und Konsequenzen abzuklopfen, ist uns als Menschen, die zwischen politischem Aktivismus und theoretischer Produktion agieren, besonders wichtig. Ein entscheidendes Merkmal einer gelungenen Auseinandersetzung ist die Fähigkeit, genau zu argumentieren und dadurch ein Stück handlungsfähiger als davor zu sein.
Worum es in Edi Freudmanns offenem Brief zu gehen scheint, ist die komplexe Auseinandersetzung um Antisemitismus und postkoloniale Theorie, vor allem auch im Kontext des politischen Aktivismus. Diese Diskussion kann durch
öffentliche Angriffe allerdings nicht ersetzt werden. Deshalb hoffen wir, dass sich hinter dem Skandalisieren ein „Begehren“ verbirgt, das sich produktiv machen lässt. In diesem Sinne wollen wir seinen offenen Brief beantworten.
Zum Verlauf der Ereignisse: Edi Freudmann konfrontiert uns mit dem Vorwurf des Bagatellisierens und Verschweigens antisemitischer Äußerungen, im gegebenen Fall bei Walter Mignolo, dessen Text „Geopolitik des Wahrnehmens und Erkennens“ in der Ausgabe „Unsettling Knowledges“ des eipcp-Webjournals publiziert wurde (siehe http://eipcp.net/transversal/0112). Die Anfrage an Mignolo für diesen Textbeitrag zu einem Webissue, in dem es um postkoloniale Dimensionen von Wissensproduktion gehen sollte, wurde im Herbst 2010 gestellt – im Vorfeld seines Vortrages, der gemeinsam von der Akademie der bildenden Künste in Wien (konkret der Klasse für postkonzeptuelle Kunstpraktiken, für die Edi Freudmann als Assistent arbeitet) und dem eipcp veranstaltet wurde.
Erst später erfuhren wir von Walter Mignolos Text „Dispensable and Bare Lives“. Wir entschieden uns, Mignolo mit unserer Kritik an der von Edi Freudmann angesprochenen Passage am Ende des Texts zu konfrontieren und zogen ernsthaft in Betracht, den lange davor für die eipcp-Publikation angefragten und inzwischen gelieferten Text nicht zu veröffentlichen. Die Auseinandersetzungen um Mignolo, die zur selben Zeit im Umfeld der Akademie in Wien stattgefunden haben und auf die der offene Brief anspielt, ohne konkret auf sie einzugehen, wurden bis heute in keiner Weise öffentlich artikuliert oder diskutiert. Sie scheinen jetzt in jenen, die Texte von Walter Mignolo veröffentlichen, eine neue Zielscheibe gefunden zu haben.
Wenn wir uns letztlich, nach sehr kritischen und kontroversiellen Diskussionen, doch für die Publikation des für das eipcp geschriebenen Texts entschieden haben, so im Wesentlichen aus zwei Gründen: Einerseits steht die betreffende Textstelle in „Dispensable and Bare Lives“, die antisemitische Klischees bedient, in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Rest des Textes, der ein grundsätzlich anderes Argument verfolgt, nämlich jenes der Kritik am Antisemitismus als Teil der europäischen Moderne (siehe auch die Argumentation von Jens Kastner und Tom Waibel, http://argument-wasnun.blogspot.com/). Eine kritische Konfrontation mit dem Autor schien uns deshalb zwar notwendig, die kategorische Diskreditierung des Autors als Antisemit hingegen nicht selbstevident. Andererseits wird Mignolo in einigen der für den genannten Webissue relevanten Kontexte rezipiert, weshalb uns die Einbeziehung seines Beitrags als Diskussionsgrundlage sinnvoll erschien.
Unseres Erachtens spiegelt die vorliegende Auseinandersetzung eine politische und theoretische Leerstelle wider, deren Bearbeitung es wenig dienlich ist, wenn Mignolo scheinbar stellvertretend für die postkoloniale Theorie verhandelt wird, während eine differenzierende „no single issue“-Diskussion über den Themenkomplex Antisemitismus und postkoloniale/antirassistische Theorie und Politik ausbleibt. Das eipcp war und ist an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema interessiert – und zwar über den engen lokalen Kontext Wiens hinaus. Wir möchten sie mehrsprachig und mit TeilnehmerInnen aus verschiedenen, transnationalen Kontexten führen und überlegen konkrete Möglichkeiten der Organisierung einer solchen Diskussion.
Schließlich ist es uns wichtig darauf hinzuweisen, dass die im offenen Brief angesprochenen Personen (die HerausgeberInnen des Webissues) aufgrund eines arbeitsteiligen Prinzips in der Produktion von transversal ganz unterschiedlich und zum Teil überhaupt nicht involviert waren in die oben beschriebenen Prozesse. Die Personalisierung dieser Auseinandersetzung ist deshalb problematisch – die Adressierung sollte sich an das eipcp allgemein richten.
eipcp, Wien am 12.4.2012
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